CDU-Politiker favorisieren Punktesystem

Berlin – Zumindest in einem Punkt stimmen alle Parteien überein: Deutschland bekommt zunehmend Schwierigkeiten durch den Fachkräftemangel – und ganz ohne Zuwanderung lässt sich das Problem wohl nicht lösen. Unter welchen Voraussetzungen jedoch ausländische Fachleute nach Deutschland geholt werden sollen, darüber streiten die Parteien vehement.

Der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionschef Hubertus Heil fordert ein Spitzentreffen aller Beteiligten. „Wir brauchen einen nationalen Fachkräftepakt, in dem Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik klare Strategien beraten, wie das Fachkräfteproblem gelöst werden kann“, sagte er der „Rheinischen Post“. Die Potentiale der in Deutschland lebenden Menschen müssten durch Investitionen in Bildung und Qualifizierung besser genutzt werden.

70.000 junge Leute verließen jährlich die Schulen ohne Abschluss, 1,5 Millionen junge Menschen hätten keine abgeschlossene Berufsausbildung, zählte Heil auf. Notwendig sei aber auch eine gezielte Zuwanderung von Hochqualifizierten, die sich streng am volkswirtschaftlichen Bedarf ausrichten müsse. „Denkbar ist dabei auch ein Punktesystem“, sagte Heil. „Das Thema müssen wir ohne Angst und Träumereien angehen.“

Auch ein Teil der CDU schwenkt auf diese Linie ein – und nähert sich damit dem Vorschlag des Koalitionspartners FDP. Der stellvertretende Chef der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs, warnte, Deutschland habe bereits ein erhebliches Defizit an Ingenieuren und IT-Fachleuten. „Die kriegen wir nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt – vor allem nicht so schnell, wie wir sie brauchen“, sagte der CDU-Politiker im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Dies könne nur über Zuwanderung erreicht werden.

Kanada als Vorbild

Fuchs sprach sich dabei für ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild aus. „Die Kanadier haben da eine ganz vernünftige Regelung.“ Dort werden Punkte unter anderem für Bildung, Sprachkenntnisse, Alter und Berufserfahrung vergeben. Erst ab einer bestimmten Punktzahl ist eine Einwanderung möglich. Innenpolitiker der Union hatten sich in den letzten Tagen gegen die Vergabe von Zuwanderungsplätzen nach Punkten ausgesprochen.

Peter Clever von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände drückte seine Forderung etwas bürokratischer aus: Deutschland müsse auch „für Humankapital attraktiv“ werden. „Ohne die gezielte Zuwanderung von qualifizierten Kräften aus dem Ausland kommen wir nicht aus“, sagte er. Ein Punktesystem sei das Gegenteil von ungesteuerter Zuwanderung. „Deshalb setzen wir uns dafür ein“, sagte Clever.

Skeptisch äußerte sich dagegen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. „Ein Punktesystem ist kein Allheilmittel“, sagte sie SPIEGEL ONLINE. „Wir brauchen ein Modell, das auf deutsche Verhältnisse zugeschnitten ist.“ Von der Leyen sprach sich für ein „Kombiprofil“ aus, bei dem Beruf, Bildung und Sprache der Einwanderungswilligen mit den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarktes nach Branche und Region abgeglichen würden.

Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan mahnte, zunächst einmal solle geprüft werden, wie die bestehenden Regelungen wirken. Sie räumte zwar ein, Deutschland brauche ein wirksames Instrument zur Steuerung der Zuwanderung. Ein Punktesystem gelte allerdings manchen als bürokratisch, sagte Schavan der „Passauer Neuen Presse“.

Deshalb solle zunächst geprüft werden, was in der vergangenen Legislaturperiode erreicht worden sei, wie etwa die bereits erfolgte Senkung der Einkommensgrenze, erklärte die CDU-Politikerin. Deutschland müsse um Talente und Hochqualifizierte aus aller Welt werben. „Wenn wir nichts tun, dann besteht die Gefahr, dass der Fachkräftemangel zur größten Wachstumsbremse der deutschen Wirtschaft wird“, sagte Schavan.

Zugleich rief die Ministerin dazu auf, mehr die Errungenschaften bei der Integration zu betonen. „Integration ist in Deutschland auch eine Erfolgsgeschichte. Darüber sollten wir mehr und selbstbewusster reden.“

Lob für Wulffs Rede in der Türkei

Schavan verwies dabei auch auf die Rede von Bundespräsident Christian Wulff vor dem türkischen Parlament. Er habe dort deutlich gemacht, „dass Integration zu den großen gesellschaftspolitischen Aufgaben gehört“. Wichtig sei dabei Bereitschaft auf beiden Seiten. „Wir setzen jetzt positive Zeichen, wenn wir über die bessere Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse beraten, an unseren Universitäten islamisch-theologische Lehrstühle einrichten und bessere Bildungs- und Integrationsangebote prüfen“, sagte Schavan. Gleichzeitig müssten die Migranten in Deutschland „unsere Werte- und Rechtsordnung“ anerkennen.

Der Chef der türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, lobte, dass Wulff die türkischen Einwanderer in Deutschland willkommen geheißen habe. Er forderte den Bundespräsidenten auf, sich nun auch mit Vertretern der türkischen Gemeinde zu treffen. Auch der Vorsitzende der Zentralrat der Muslime (ZMD) in Deutschland, Aiman Mazyek, sagte der WAZ-Gruppe, Wulff habe seine Worte „klug gewählt“. Mazyek verglich die Integrationsdebatte in Deutschland mit der um religiöse Minderheiten in der Türkei: „Genau so, wie in der Türkei Christen von Ultra-Nationalisten als Gefahr für die Einheit des Landes betrachtet werden, sehen Rechte in Deutschland hinter jedem Muslim den Untergang des christlichen Abendlandes.“

Von der Leyen kritisierte, in der Integrationsdebatte gehe es „zu sehr um den Blick zurück, um alte Bilder aus Versäumnissen vergangener Jahrzehnte. Zuwanderung braucht aber den Blick nach vorn und betrifft Fachkräfte“, forderte sie im Interview mit SPIEGEL ONLINE. „Wir müssen ein modernes Bild von qualifizierter Zuwanderung entwerfen, auch weil unser Wohlstand in zehn und 20 Jahren daran hängt“, sagte sie. „Um Wachstum und Wohlstand künftig zu sichern, brauchen wir dringend zusätzlich gut ausgebildete Menschen aus dem Ausland. Ohne ausreichend Fachkräfte können wir hier die Lichter ausmachen.“

mmq/dapd/dpa


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