Erdogan stellt „Kriegskabinett“ auf

 

MARKUS BERNATH
26. Dezember 2013, 18:28
  • foto: reuters / umit bektas

    Offensive gegen „Banden im Staat“: Mit vielsagender Miene gab Premier Recep Tayyip Erdogan vor der Presse in Ankara die Umbildung seines Kabinetts bekannt


Mit einem Befreiungsschlag versucht der türkische Premier die Oberhand in einem Korruptionsskandal zu gewinnen, der gegen ihn selbst gerichtet sein soll. Dem neuen Kabinett gehören Erdogans engste Vertraute an

Als Zafer Caglayan in die Maschine steigt und mit dem Regierungschef und großer Delegation aus Pakistan zurückfliegt, ist er noch türkischer Wirtschaftsminister. Irgendwo über dem Iran fallen die Würfel. Als Caglayan in Ankara ankommt und aufgereiht mit seinen Ministerkollegen vor einer Menge von Claqueuren steht, die nachts zum Flughafen gefahren wurden, um ihren bedrängten Premier zu feiern, ist er seinen Job schon los.

Ebenso der Innen-, der Bau- und der Europaminister. Regierungschef Tayyip Erdogan hatte sich entschieden: Damit er die schwerste Krise in elf Jahren an der Macht überlebt, müssen Köpfe rollen. „Wenn sie versuchen, Tayyip Erdogan zu treffen, werden ihre Hände leer bleiben“, hatte er türkischen Reportern beim Rückflug geschworen und damit die „Banden im Staat“ gemeint, die ihn stürzen wollen.

In der Nacht zu Donnerstag führt die Korruptionsaffäre, die seit mehr als einer Woche die Türkei in Atem hält, zu einer großen Regierungsumbildung. Es ist der erste Schritt im „Kampf der Unabhängigkeit“, wie Erdogan erklärt. Die Abwehr der Justizermittlungen um Bestechungen, Schwarzgeld und Schmuggel macht er zu einer Schlacht gegen Invasoren wie nach dem Ersten Weltkrieg, als die Türkei sich gegen Griechen, Russen und die westlichen Alliierten behauptete. Sein „Kriegskabinett“ gibt der Premier mit steinerner Miene kurz vor Mitternacht im Fernsehen bekannt.

Zehn Minister tauscht Erdogan mit einem Schlag aus. Caglayan und Innenminister Muammer Güler, deren Söhne in Untersuchungshaft sind, ließ er schon am Mittwochmorgen eine Rücktrittserklärung abgeben. Umwelt- und Bauminister Erdogan Bayraktar muss er erst noch die Hand führen. Bayraktar geht im Zorn, beklagt sich über den Druck, den Erdogan auf ihn ausgeübt habe, und sagt den einen Satz, der den politischen Wirbelsturm im Land noch heftiger rasen lässt: „Ich glaube, der Premier sollte zurücktreten, um die Nation zu beruhigen.“

Tayyip Erdogan habe selbst die meisten der Baupläne abgezeichnet, die nun von der Justiz wegen des Verdachts der Korruption untersucht würden, erklärt der Exminister. Die Lira fällt daraufhin an der Istanbuler Börse auf einen Rekordtiefstand und durchbricht erstmals die Marke von 2,10 für einen Dollar und 2,90 für den Euro.

Bayraktars Sohn war vergangene Woche ebenfalls festgenommen worden, kam aber mit Auflagen frei, ebenso wie der Baumagnat Ali Agaoglu und der Bürgermeister von Fatih, dem großen konservativen Stadtteil im Zentrum von Istanbul. Er soll archäologisches Terrain zur Bebauung freigegeben haben und unter anderem die Genehmigung für ein Hotel direkt über dem neuen Tunnel der Bosporus-U-Bahn erteilt haben – zum Entsetzen der japanischen Tunnelbauer.

Der EU-Minister und Chefunterhändler bei den Beitrittsverhandlungen, Egemen Bagis, fliegt ebenfalls aus dem Kabinett. Auch er ist von Bestechungsvorwürfen belastet. Eineinhalb Millionen Dollar soll er eingesteckt haben von dem jungen iranisch-aserbaidschanischen Geschäftsmann Reza Sarrab. Das haben die Istanbuler Staatsanwälte der Presse gesteckt und ihr gleichzeitig noch Fotos zugespielt, die Polizeiermittler von Sarrab gemacht haben, als er mit einer Tasche in den Istanbuler Amtssitz von Bagis gegangen war.

In der Tasche könnten doch genauso gut Bücher gewesen sein, meinte der Regierungschef dazu. Dennoch lässt Erdogan auch den Europaminister fallen, der in den letzten Monaten mit populistischen Äußerungen gegen Brüssel von sich Reden machte. Mevlüt Cavusoglu ersetzt ihn, der außenpolitische Sprecher von Erdogans konservativ-islamischer AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung).

Die Schlüsselposten im neuen Kabinett besetzte der Regierungschef mit seinen engsten Vertrauten: Das Justizministerium – der bisherige Ressortchef Sadullah Ergin kandidiert bei den Bürgermeisterwahlen kommenden März, und sein Ausscheiden war vorgesehen – gab er Bekir Bozdag, einem Vizepremier, der Erdogan schon bisher mit kompromisslosen Äußerungen zur Seite sprang; das bei den laufenden Ermittlungen nun besonders kritische Innenministerium übertrug Erdogan seinem Staatssekretär im Amt des Premiers, Efkan Ala. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 27.12.2013)

 


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