Fazil Say – Der ungläubige Pianist

Du sollst nicht twittern: Der Atheist und Musiker Fazil Say ist wegen Herabwürdigung des Islam verurteilt worden, die Minister der konservativ-religiösen Regierung in Ankara erklären das nun

foto: apa/epa/warmuth Das Urteil gegen Fazil Say wird schwerlich als Bestätigung einer Idee von liberaler Gesellschaft durchgehen.
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Das Urteil gegen Fazil Say wird schwerlich als Bestätigung einer Idee von liberaler Gesellschaft durchgehen.

Man könnte also argumentieren: Er hat ja zumindest keine Stockhiebe bekommen. Und anderswo, sagen wir einmal in Österreich (Strafgesetzbuch Art. 188) oder in Deutschland (StGb Art. 166), sind „Herabwürdigung“ und „Beschimpfung“ einer Religionsgesellschaft im Inland auch ein Straftatbestand, für den man theoretisch ins Gefängnis wandern könnte. Aber dann wiederum ist der Schuldspruch gegen den Pianisten-Komponisten Fazil Say auch ein Exempel. Selbst ernannte Religionswächter haben Alarm geschlagen, und ein Richter im formal laizistischen Staat sorgt sich um den Koran und spricht den Lästerer schuldig: zehn Monate Gefängnis auf Bewährung, für die Dauer von fünf Jahren ausgesetzt (im Klartext: Fazil Say hat fünf Jahre lang den Mund zu halten, will er nicht hinter Gittern oder zumindest einen Haftbefehl der türkischen Justiz) – und alles das für zwei Twitter (@fsayofficial), die er in die Internetwelt geschickt hat.

Das eine war eine Verszeile aus einem Gedicht, die dem persischen Dichter Omar Khayyam zugeschrieben wird („Du sagst, durch die Bäche wird Wein fließen – ist da Paradie etwa ein Wirtshaus? Du sagst, jeder Gläubige wird zwei Jungfrauen bekommen – ist das Paradies etwa ein Bordell?“). Dem hatte Fazil Say, ein erklärter Atheist, der das auch jeden wissen lässt, noch eine Bemerkung über einen Muezzin vorausgeschickt, den er offenbar gerade gehört hatte: „Der Muezzin hat das Abendgebet in 22 Sekunden ausgerufen! Prestissimo con fuoco!!! Was hast du es so eilig? Eine Geliebte? Raki auf dem Tisch?“ In einem anderen Tweet schrieb Say: „Überall, wo es Schwätzer, Schurken, Neugierige, Diebe, Idioten gibt, sind sie alle furchtbar fromm“ (wörtlich: „Allahisten“).

Eine Verszeile aus offenbar geistig liberaleren Zeiten im 11. Jahrhundert und eine bissige Bemerkung über muslimische „Philister“: Man hat schon Schlimmeres gesehen. Die drei Kläger – Ali Emre Bukağılı, Orkun Şimşek and Turan Gümüş – machten aber etwa geltend, dass Say jeden gläubigen Muslim als „Schwätzer, Schurken“ usw. bezeichnet und also beleidigt hätte, was ja nun nicht der Fall war. Der Richter in Istanbul fand das auch.

Das Urteil vom Montag dieser Woche wird schwerlich als Bestätigung einer Idee von liberaler Gesellschaft durchgehen, wo Toleranz und Respekt verschiedener Glaubens- und Nicht-Glaubensrichtungen sich die Waage halten müssen. Es ist wohl weit mehr ein Statut der Null-Toleranz im 95-Prozent-Staat der türkischen Muslime, der seit zehn Jahren von einer konservativ-religiösen Partei regiert wird. Die „Freiheit, Blödsinn zu reden“, wie sich der türkische Europaminister Eğemen Bağış nun ausdrückte, hat im Prinzip jeder in der Türkei. Aber abweichende Meinungen sind eben das: „Blödsinn“. Geistige Verirrungen, von denen man nur hoffen kann (dann legt der türkische Politiker gern die rechte Hand aufs Herz), dass ihr Bekunder rasch seinen Fehler erkennt und in den Schoß der Gesellschaft zurückkehrt. „Wir sind nicht glücklich über Verurteilungen“, versicherte Bağış. „Niemand, der vernünftig denkt, kann diese Worte als etwas betrachten, das innerhalb der Grenzen der freien Meinungsäußerung liegt“, erklärte Kulturminister Ömer Çelik, welcher – eine etwas unglückliche Fügung – zur Eröffnung einer Buchmesse in London weilte und mit ihm ein Teil der türkischen, minoritär-liberalen Intelligenzia. Die Türkei ist dieses Jahr zum Themenland auserkoren worden.

Fazil Say tourt diese Woche durch Deutschland, auch mit seiner „Istanbul Symphonie“ von 2010. Der zweite der sieben Sätzen soll die „dunkle Seite“ der Religion widerspiegeln – den Fundamentalismus.

„Jeder weiß, dass ich nicht religiös bin“, sagte er im vergangenem Jahr bei der Einleitung zur Symphonie, die das Hessische Rundfunkorchester gab, und unter Applaus und Gejohle eines – so darf man annehmen – zu einem guten Teil türkischstämmigen Publikums. (Markus Bernath, derStandard.at, 18.4.2013)

via Fazil Say – Der ungläubige Pianist – Markus Beys Blog – derStandard.at › International.


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