„Poetry-Polis“

Quelle: www.poetry-polis.de

 

„Poetry-Polis“

„Poetry-Polis“ beginnt am 12. August 2011 um 19 Uhr mit „Ein Gefühl in deiner Sprache“ im „MIGRApolis – Haus der Vielfalt“, Brüdergasse 16-18 in 53111 Bonn.

In maximal vier Minuten sollen in möglichst vielen verschiedenen Sprachen Texte zum Thema „Wut“ dargebracht werden.

Um den Verlauf des Abends gestalten zu können, müssen etwaige Beiträge bis zum 5. August eingereicht werden. Näheres finden Sie auf der Internetseite von MIGRApolis (www.migrapolis-deutschland.de) oder unter www.poetry-polis.de.

Kommentare

2 Antworten zu „„Poetry-Polis““

  1. Avatar von Nadja Thelen-Khoder
    Nadja Thelen-Khoder

    1. POETRYpolis-Veranstaltung. Sieger: Bartosz Bzowski
    oder
    Das ist Authentizität!

    Am Freitag, dem 12. August 2011, fand im „MIGRApolis-Haus der Vielfalt“ in der Brüdergasse in Bonn die erste Veranstaltung der neuen POETRYpolis statt. Es galt, in verschiedenen Sprachen Texte zum Thema „Wut“ vorzutragen, und selten erlebte ich „kulturelle Unterschiede“ so deutlich.

    Der Teufel führt verschiedene Waffen gegen uns Menschen. Zu seinen stärksten gehören Enttäuschung, Eifersucht, Eitelkeit, Wut, Neid, Zorn, Missgunst und Habgier. Jeder Einzelne von uns kennt mindestens eines dieser Gefühle in irgendeiner Form, und jeder Einzelne von uns wünschte, es ein für alle Male überwunden zu haben.

    Aber der Kampf gegen Iblîs/Satan/Şeytan (oder wie immer wir ihn nennen mögen) und seine Waffen muss jeden Tag aufs Neue geführt werden, denn niemand kann vor ihm sicher sein. (Die, die sich vor ihm sicher wähnen, sind die Allerschlimmsten.)

    Was ist Wut? Wut ist jene Verdichtung an negativer Energie, entstanden durch verletztes Selbstwertgefühl, bittere Enttäuschung, erlittenes Unrecht, durch Schmähungen und Beleidigungen, die keine andere Gefühlsregung neben sich duldet als das Verlangen der Zerstörung, der Vernichtung, der Entfernung der Ursache.

    Deswegen kann Wut auch nie „gut“ oder produktiv sein; sie duldet nichts neben sich, sie macht sich kurzfristig zum Gott der Situation. Etymologisch sind die Wörter „Wut“ und „Wotan“ (höchster der germanischen Götter; zuständig für Krieg, Weissagung, Dichtkunst und die Sonne) miteinander verwandt.

    Die Frage muss also sein: Wie gehen wir damit um, was können wir tun, wenn uns die Wut am Kragen hat, wenn Iblîs uns im Würgegriff hält, uns die Kehle zuschnürt, unser ganzes Leben sich zu verdichten scheint in einen einzigen Moment, der vor negativer Energie nur so strotzt und kaum zu ertragen ist? Wenn fiese, ekelerregende, gemeine, hässliche Monster in uns toben, die nichts Anderes wollen als zerstören? Wenn wir also von Wut schier zerfressen werden?

    Und es gibt auch hier – wie überall – nur eine einzige Antwort: „Raus damit, weg damit! Sprich darüber!“ „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Nur in Worten, nur mit Literatur können wir hemmungslos wüten und kurz darauf alles wieder ungeschehen machen, alles erneut in Frage stellen, alles und jedem eine neue Chance geben.

    Natürlich wäre es schön, wenn wir immer das tun könnten, was wir als gebildete Menschen gelernt haben: Wut zu kanalisieren, ihre negative, zerstörerische Energie an Ort und Stelle in positive, kreative Energien umzuwandeln und uns in Bildern, Musik, bildender Kunst oder ähnlichen Handlungen auszudrücken.

    Was aber kann man tun, wenn Iblîs sich wieder einmal wie ein Räuber über uns herstürzt und wir uns erkennen im blinden Gefühl der Wut? Mitten auf der Straße, am helllichten Tag, unversehens angefeindet von einem seiner Waffen oder Helfershelfer? Wenn wir dann nichts haben, das uns hilft, mit dieser negativen Energie umzugehen, dann wirkt sie sich aus wie eine Krankheit, die man ignoriert: Sie verschlimmert sich und richtet womöglich bleibende Schäden an.

    Messen wir die Wirkungen von Wut auf einer Skala von 0 bis 100, finden wir bei 0 das Koma (nach innen gerichtet) und bei 100 Amok (nach außen gerichtet), und es ist für mich kein Zufall, dass diese beiden Wörter aus den gleichen Buchstaben in nur umgekehrter Reihenfolge bestehen. Koma ist die völlige Inaktivität, Amok ist explodierende Aktivität.

    Dazwischen liegen Begriffe wie Depression, Lethargie, Melancholie, Verbitterung, Sarkasmus, Zynismus und noch einiges mehr – Gefühle oder seelische Zustände, die der Menschheit seit vielen Jahrtausenden bekannt sind. Psyche ist von alters her die Personifikation der menschlichen Seele: eine Königstochter, die durch ihre außergewöhnliche Schönheit den Neid der Göttin Aphrodite erregt. Eros, der losgeschickt wird, um Psyche zu verderben, verliebt sich aber in sie und entführt sie in seinen Palast, wo sie nur so lange glücklich sind, wie Eros nur nachts im Dunkeln zu Psyche kommt. Weil sie aber neugierig ist und ihn einmal im Schlaf überrascht, verlässt Eros sie. Psyche sucht ihren Geliebten und gerät so auch in den Tempel der Aphrodite, für die sie schwere und gefährliche Arbeiten ausführen muss. (Gibt es irgend ein menschliches Gefühl, das in dieser Geschichte nicht vorkommt? Psyches Ausdauer und die Liebe der beiden wird übrigens nachher doch noch von Zeus mit ihrer endgültigen Vereinigung belohnt.)

    Seit Jahrtausenden kommen Menschen mit schwersten seelischen Schäden aus Kriegen zurück, und seit Jahrtausenden reichte es, wenn man von einem solchen Menschen sagte: „Der war im Krieg.“ Jeder verstand: Er war in der Hölle, und nur der Teufel kommt heile aus der Hölle heraus.
    Heute aber ist Psyche keine Königstochter mehr, sondern etwas, was „analysiert“ und dann „behandelt“ wird: 5000 „Bundeswehrpsychologen“ und zahlreiche „Militärpfarrer“ (für mich sind das Unwörter!) verdienen ihren Sold damit, mit deutschen Soldaten zu sprechen, die aus dem „Afghanistan-Krieg“ zurückkommen und nun unter „Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)“ leiden; Soldaten und Psychologen wandern durch Talkrunden und werden befragt, wie erfolgreich ihre „Therapien“ denn gewesen seien. (Dass sich viele auch deutsche Soldaten nach ihrem „Auslandseinsatz“ inzwischen selbst das Leben genommen haben, hört man sehr selten. Auf welchen Gedenktafeln, mit welchen Zeremonien sollte man auch diejenigen Männer ehren, die nicht in, sondern an dieser Hölle gestorben sind? Wie können diejenigen Politiker, die anderer Leute Kinder in die Kriege schicken, den Eltern in die Augen sehen?)

    Meine ganze Kindheit war von diesen Therapien begleitet: Immer wieder weinten erwachsene Männer und erzählten die grauenhaftesten Geschichten, und immer wieder hörte ich als Kind den immer gleichen Satz zur Erklärung: „Der war im Krieg.“ (Hätte ich für jede dieser Stunden auch nur einen Bruchteil des Geldes bekommen, das diese „Bundeswehrpsychologen“ und „Militärseelsorger“ bekommen, hätte ich mir die Seele genauso besudelt wie diejenigen, die bis heute noch nicht verstanden haben, dass es gegen Kriege und ihre Folgen nur eine einzige Therapie gibt: Nicht mitmachen! Sagt NEIN! Die Waffen nieder! Frieden schaffen ohne Waffen! Brüder, nicht schießen! Liebe Deinen Nächsten als Dich selbst! Sprich über Selbsterlebtes und höre den Schilderungen der Alten zu, und dann lass die Finger von allem, was mit Krieg zu tun hat

    Dies alles musste ich vorausschicken, um nun endlich zu dem Teilnehmer der POETRYpolis zu kommen, der Gott sei Dank den Wettbewerb gewonnen hat. Niemand war so authentisch wie Bartosz Bzowski, geboren 1976 in Krakau in Polen, der in seinem Beitrag seiner Familie in Polen über Aktivitäten von Neonazis in Deutschland erzählte.

    Niemals vorher habe ich einen Betroffenen so ehrlich und vornehm, so frank und frei, so klug, so authentisch und deshalb so gut wüten hören! Diese Wut, die sich nicht nur aus verletztem Gerechtigkeitssinn („Die Nazis wollen doch die demokratischen Rechte, auf die sie sich berufen, abschaffen. Das ist doch verkehrte Welt!“), sondern auch aus unmittelbarer Betroffenheit speist („Kam im Alter von elf Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland, der Rest seiner Familie lebt und arbeitet weiter in Polen“, heißt es zu seiner Person im „Abendheft“ zur Veranstaltung – diese Wut funkelte wie ein Diamant, erstrahlte in hunderttausend Farben, loderte wie ein Feuer, erfasste Köpfe und Herzen der Zuhörer und verband ihre Seelen zu der einen großen Seele, die nichts und niemanden alleine lässt.

    Oft reduziert sich in der Wut ein Individuum mit all seiner Erfahrung und Energie auf einen einzigen Punkt, in einen einzigen Moment, der zerstörerisch wirkt (und sei es nur die Blockade jeglicher positiver Energie).

    In dem Beitrag von Bartosz Bzowski aber sprang der Funke über und entzündete das Publikum in der gemeinsamen Empörung gegen jene „Schandurteile, dass die Polizei die Gegendemonstrationen auflösen muss, damit Nazis demonstrieren dürfen“.

    Polen war das erste Land, dass die Deutschen unter den Nazis mit ihrer Kriegsmaschinerie niedergewalzt haben. Adolf Hitler hatte am 22. August 1939, kurz vor dem Überfall auf Polen, gesagt: „Ich habe meine Totenkopfverbände bereitgestellt, um unbarmherzig Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung in den Tod zu schicken.“ Und auf ihrem Rückzug vollzog die deutsche Wehrmacht die „Politik der verbrannten Erde“, zerstörte also alles, was noch hätte brauchbar sein können.

    „Faschismus ist doch keine Meinung, sondern ein Verbrechen! 55 Millionen Tote hat der Zweite Weltkrieg gefordert…! Und ich, der ich aus Polen komme, betone, sechs Millionen Polen sind umgekommen“, sagte Bartosz Bzowski.

    Das ist genau die Authentizität, die mein Leben ausmacht, an der ich meine Brüder erkenne. Denn eine Meinung ist eine Meinung ist eine Meinung;
    ein Verbrechen ist ein Verbrechen ist ein Verbrechen,
    und die Toten leben in uns weiter – verzweifelt, gedemütigt, beraubt, erschlagen, und wir werden ihre Geschichte(n) in uns tragen und weitergeben von Generation zu Generation zu Generation, als Juden, als Sinti und Roma, als Dersimer und als Polen. (Ich flehe alle Opfer, die hier nicht aufgeführt sind, aufrichtig an, mir nicht böse zu sein. Diese Liste kann und will nicht vollständig sein; allein das Fehlen der zwanzig Millionen Toten der ehemaligen Sowjetunion im 2. Weltkrieg ist ein deutlicher Beweis dafür!

    Als Deutsche fühle ich wieder die Trauer und die Scham, die mich seit einigen Jahrzehnten begleitet.

    Wir alle sind Juden, sind Sinti und Roma, sind Dersimer und sind Polen. Wir alle sind immer und überall Opfer von denjenigen, die sich selbst zu „Herren des Gerichts über Leben und Tod“ machen, wie es bei Schiller heißt. Unterdrücker und Mörder gibt es in vielen Varianten, als Nazis, Terroristen, Nationalisten oder religiöse Fanatiker, und wir sind ihre erklärten Gegner. Niemals ist diese Tatsache eindrucksvoller zum Ausdruck gebracht worden als nach der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink, als am Tage seiner Beerdigung Hunderttausende in der Türkei seinem Sarg folgten und überall der Satz zu hören und zu lesen war: „Wir sind alle Hrant Dink!“

    Wir werden von den Toten erzählen und sind manchmal wütend auf die, welche die Opfer vergessen machen und die Täter schützen wollen, die neue Opfer provozieren und neue Täter rekrutieren, die die ewig falschen Behauptungen aufstellen und die Schwächsten gegeneinander hetzen wollen.
    Aber wenn wir unserer Wut verbal Ausdruck verliehen haben, dann arbeiten wir wieder produktiv weiter, gemeinsam in Einheit und Vielfalt, tolerant und friedlich.

    Und so werbe ich auch an dieser Stelle für die Hrant-Dink-Gedenkveranstaltungen in diesen Tagen anlässlich des fünften Jahrestages seiner Ermordung und möchte Sie einfachheitshalber auf den Beitrag unter verweisen.

    Meinen allerherzlichsten Glückwunsch, Dank und meine vorzügliche Hochachtung für seine hervorragende Darbietung an Bartosz Bzowski – und eben auch an das Hrant-Dink-Forum Köln, das die Veranstaltungen in der Alten Feuerwache in Köln organisiert (siehe .

    PS:

    Es gibt einige Filme, die mich wesentlich erzogen haben. Zu den wichtigsten gehören „Luther“, „Gandhi“ und „Die zwölf Geschworenen“. Bestimmt kennen auch Sie diese Filme und erinnern sich vielleicht an diese Szenen:

    „Luther“: Als Luther aus Rom zurückgekommen ist (geschockt darüber, was er da gesehen hatte), schrubbt er zwei Wochen lang die Fußböden. Sein geistlicher Vater kommt zu ihm und fordert ihn auf, zu sprechen und mit dem Schrubben aufzuhören; er sagt: „Du stellst Deine Brüder vor eine schwere Entscheidung: Entweder sie lernen Schrubben so wie Du, oder sie müssen dafür sorgen, dass Deine Seite nicht zu sehr glänzt.“

    „Gandhi“: Als Ghandi von seiner Frau verlangt, die Latrinen zu reinigen, weigert sie sich, weil das eine Arbeit für „Unberührbare“ sei. Ghandi schreit sie an und schickt sie aus dem Ashram fort, worauf sie ihn weinend fragt: „Hast Du keine Scham? Ich bin Deine Frau!“ Ghandi sackt zusammen und fragt: „Was ist nur in mich gefahren?“ Und seine Frau antwortet: „Du bist nur ein Mensch, nichts weiter als ein Mensch. Und wir Anderen, die wir nicht so vollkommen sein wollen wie Du, haben es noch viel schwerer. Verstehst Du das?“

    „Die zwölf Geschworenen“: Zu Beginn des Filmes halten ja alle Geschworenen den Jungen für schuldig, bis auf einen einzigen; am Ende ist es genau umgekehrt. Derjenige, der die ganze Zeit über den Jungen so aggressiv für schuldig erklärt hat, zieht sein Portemonnaie aus der Tasche und wirft es auf den Tisch mit den Worten: „Da liegt er, der ganze Fall!“ Dabei fällt ein Photo seines Sohnes heraus, der ihn verlassen hat, er sieht es an und sagt: „Das sollst Du mir büßen, …!“

    Das ist dreimal Wut vom Feinsten, und dreimal wird sie verstanden und im Gespräch aufgehoben. Denn wir sind alle Menschen, müssen es sein mit all unseren Gefühlen, Fehlern und Schwächen, und wir finden Erlösung nur im Gespräch, in freier Rede. Denn: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

  2. Avatar von Nadja Thelen-Khoder
    Nadja Thelen-Khoder

    Wir werden von den Toten erzählen und sind manchmal wütend auf die, welche die Opfer vergessen machen und die Täter schützen wollen, die neue Opfer provozieren und neue Täter rekrutieren, die die ewig falschen Behauptungen aufstellen und die Schwächsten gegeneinander hetzen wollen.
    Aber wenn wir unserer Wut verbal Ausdruck verliehen haben, dann arbeiten wir wieder produktiv weiter, gemeinsam in Einheit und Vielfalt, tolerant und friedlich.

    Und so werbe ich auch an dieser Stelle für die Hrant-Dink-Gedenkveranstaltungen in diesen Tagen anlässlich des fünften Jahrestages seiner Ermordung und möchte Sie einfachheitshalber auf den Beitrag unter verweisen.

    Meinen allerherzlichsten Glückwunsch, Dank und meine vorzügliche Hochachtung für seine hervorragende Darbietung an Bartosz Bzowski – und eben auch an das Hrant-Dink-Forum Köln, das die Veranstaltungen in der Alten Feuerwache in Köln organisiert (siehe .