Teil der Kultur: Türkische und arabische Zuwanderer. Foto: reuters

Integration geht nur über Sprache?

Sie ist der Literatur-Star des Jahres: Melinda Nadj Abonji hat erst den Deutschen und dann den Schweizer Buchpreis bekommen. Ein Gespräch über Ruhm, Integration und Sprache.

Sie ist der Literatur-Star des Jahres: Melinda Nadj Abonji hat erst den Deutschen und dann den Schweizer Buchpreis bekommen. Ein Gespräch über Ruhm, Integration und Sprache.

Frau Abonji, Sie haben in diesem Jahr erst den Deutschen Buchpreis, dann den Schweizer Buchpreis erhalten. Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?

Es war eine sehr dichte Zeit mit vielen Lesungen, vielen Interviews und vielen schönen Begegnungen. Ganz anders als die Zeit davor, in der ich fast sechs Jahre lang sehr still und zurückgezogen gearbeitet habe.

Mal ehrlich, haben Sie mit einem der Preise heimlich gerechnet?

Natürlich habe ich gewusst, dass es den Deutschen Buchpreis und den Schweizer Buchpreis gibt. Aber es war alles sehr eng mit dem Romanabschluss. Ich habe bis zum Schluss daran gearbeitet und an Details gefeilt. Und dann hat der Verlag gesagt, sie wollen das noch für den Deutschen und Schweizer Buchpreis eingeben. Dann habe ich sie angeschaut und gesagt, wenn ihr das tun wollt, dann macht mal. Und habe mich nicht weiter darum gekümmert.

In Ihrem Roman geht es auch um die Frage der Integration. In Deutschland tobte dazu in den vergangenen Monaten eine sehr heftig Debatte. Wie haben Sie das verfolgt?

Ich empfinde die Art der Debatten sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz vor allem als ressentimentbeladen. Sie lösen das nicht, worüber man eigentlich reden sollte, nämlich die Frage, wie können Menschen unterschiedlicher Herkunft wirklich Interesse aneinander haben und sich nicht irgendwie gegenseitig Dinge vorwerfen.

Wie könnte man das denn lösen?

Wir können als Beispiel die Sprache nehmen. Die Sprache ist enorm wichtig, um überhaupt die Menschen in dem neuen Land zu verstehen. Und ich finde, dass die Leute Deutschkurse besuchen müssen. Aber es ist natürlich auch so, dass gerade Leute, die wenig Geld haben und schlecht ausgebildet sind, mehr arbeiten müssen. Also muss man schauen, dass die Betriebe auch bereit sind, solche Deutschkurse zu ermöglichen. Bei den Kindern, glaube ich, ist es total wichtig, dass sie zum Beispiel in ihrer Muttersprache eine Schule besuchen dürfen. Wenn man ein schlechter Schüler ist, ist man das ja nicht nur in Deutsch, sondern in allen Fächern, wenn man die Sprache nicht kann. Das kann nicht damit zu tun haben, dass die Kinder von Ausländerfamilien aus Osteuropa oder von südlichen Ländern einfach dümmer sind. Die haben wegen dieses Sprachdefizits weniger Möglichkeiten.

Entgegen einer These, die ja auch Thilo Sarrazin vertritt, dass Ausländer, die hier leben wollen, sich anpassen müssen, warnen Sie vor zu viel Anpassung.

Ja, zu viel Anpassung, übertriebene Assimilation, bedeutet eben auch eine kulturelle Aushöhlung der Menschen. Man verliert dann das Gefühl für sich selber. Ich glaube, es gibt eine Leere, wenn man beispielsweise die eigene Sprache nicht sprechen darf.

Sie haben in Ihrem Roman eine ganz eigene Sprache entwickelt. Wie haben Sie die gefunden?

Als ich vor sechs Jahren angefangen habe, den Text zu schreiben, habe ich sofort das Gefühl gehabt, dass das der richtige Ton ist. Das erste Kapitel hat sich seither eigentlich gar nicht verändert. Da war dieser Ton schon da, die Art der Sätze, der Rhythmus.

Welche Rolle hat dabei Ihre eigene Geschichte und Herkunft gespielt?

Die verschiedenen Sprachen spielen eine große Rolle. Ich habe auch mit ungarischem Sprachmaterial gearbeitet, mit schweizerdeutschen Einsprengseln, mit einer Syntax, die serbokroatisch gefärbt ist. Ich habe wirklich versucht, das, was eine Gemeinschaft ausmacht, nämlich die verschiedenen Sprachen und Dialekte, in diesen Text einzubauen. Das war mir sehr wichtig, dass es da nicht irgendeinen Erzähler gibt, der irgendwo oben sitzt und das Ganze im Griff hat, sondern ich wollte richtig eintauchen in diese Welt.

Fragen: Michael Lünstroth

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