Annette Schavan ist seit 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Interview: Schavan will Muttersprache zur Zeugnisnote machen

Essen. Bildungsministerin Schavan fordert, dass Migranten-Kinder künftig ihre Kenntnisse der Muttersprache im Zeugnis bescheinigt bekommen. „Wir müssen erreichen, dass sie sich an jeder Schule in ihrer Muttersprache prüfen lassen können“, sagte sie.

Annette Schavan ist seit 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung.
Annette Schavan ist seit 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) will offensiv um Fachkräfte aus dem Ausland werben. Deutschland benötige Zuwanderung, doch müsse diese gesteuert werden, betonte sie im WAZ-Interview. Dazu möchte die Ministerin die Aufenthaltsregelungen erleichtern und zugleich die Qualifikationen von Einwanderern schneller anerkennen.

Frau Schavan, Bildung ist der Schlüssel zur Integration, heißt es. Wie kann man junge Leute mit Migrationshintergrund besser auf den Arbeitsmarkt vorbereiten?

Annette Schavan:Der Schlüssel liegt im frühen Lernen. Wir müssen die Sprachentwicklung noch vor der Schule fördern. Jedes Kind muss vom ersten Schultag an seinen Lehrer verstehen können.

Brauchen wir spezielle Angebote?

Migranten-Kinder sollen künftig ihre Kenntnisse der Muttersprache im Zeugnis bescheinigt bekommen Foto: ddp

Schavan:Wir dürfen die Migranten nicht immer nur als Problem sehen. Wir sind hier mitten im Ruhrgebiet, die Region hat große Erfahrungen mit der Integration von Fremden, die Zuwanderung hat ihr gut getan. Die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben Stärken, das sind nicht alles Problemfälle. Wir müssen erreichen, dass sie sich an jeder Schule in ihrer Muttersprache – in Türkisch, Kroatisch, Italienisch oder Portugiesisch – prüfen lassen können und so eine zusätzliche Sprachkompetenz im Zeugnis steht. Wir müssen zu einer Kultur kommen, die konkret etwas fordert, jedoch auch anerkennt, welche Stärken jemand hat.

Kultur des Respekts

Wie will die Regierung ausländische Berufsabschlüsse schneller anerkennen?

Schavan:Angesichts unserer Bevölkerungsentwicklung ist es wichtig, dass die Menschen gemäß ihrer Qualifikation arbeiten können. Das Gesetz zur besseren Anerkennung ausländischer Abschlüsse soll 2011 in Kraft treten. Das Verfahren soll maximal drei Monate in Anspruch nehmen, wir versprechen uns die Anerkennung von bis zu 300 000 Fachkräften. Jeder soll das Recht haben, dass sein Abschluss überprüft wird – und sich gegebenenfalls nachqualifizieren können. Das gehört zu einer Kultur des Respekts.

Benötigen wir darüber hinaus Zuwanderung?

Schavan:Ja, wir brauchen Zuwanderung. Wir stehen nicht vor einem demografischen Wandel, wir sind mitten drin. Essen hatte in den 70er-Jahren etwa 700 000 Einwohner, heute sind es 570  000. Für diese Entwicklung gibt es viele Beispiele. Deshalb brauchen wir eine gesteuerte Zuwanderung, und keine in unsere Sozialsysteme. Deutschland muss attraktiv sein für Talente aus aller Welt. Wir reden zu wenig über die Erfolgsgeschichte der Integration. Dies ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten so gut gelungen wie in keinem anderen Land.

Regeln und Werte sind wichtig

Sollten auch Religion oder Zugehörigkeit zu einem fremden Kulturkreis Zuwanderungskriterien sein?

Schavan:Wir fragen nach Qualifikation, nicht nach Religion. Dabei sind natürlich die Regeln und Werte wichtig, die wir uns gesetzt haben. Deshalb hat die Regierung beispielsweise ein Gesetz gegen Zwangsehen gemacht.

Was ist mit einem Punktesystem wie in Kanada?

Schavan:Klar ist, wir müssen Kriterien formulieren, darin sind wir mit unserem Koalitionspartner einig. Wie das geschieht, werden wir in den nächsten Wochen formulieren. Die Fragen sind: Wen brauchen wir? Was tun wir dafür, dass ausländische Studenten nach dem Abschluss bleiben können? Bisher betrug die Einkommensgrenze für einen Aufenthalt in Deutschland etwa 66 000 Euro, da ist – wie von der EU angeregt – eine Senkung auf 44 000 Euro im Jahr denkbar. Möglich wäre auch, für weitere Berufsgruppen die Vorrangprüfung zu streichen.

Die Kanzlerin sagt, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Entspricht das der Realität?

Schavan:Wir sind ein weltoffenes Land. Das garantiert unseren Wohlstand. Aber: Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir würden uns nur um ausländische Fachkräfte bemühen und unser Nachwuchs werde vernachlässigt. Tatsächlich bieten wir Qualifizierung an. Und die Chancen für Berufseinsteiger steigen.

Für ein Verbot von Gentests an Embryonen

Derzeit diskutieren die Parteien eine Freigabe der Gentests an Embryonen bei künstlichen Befruchtungen, die Präimplantations-Diagnostik, kurz PID. Wie ist Ihre Ansicht?

Schavan:Der Mensch schafft sich nicht selbst. Deshalb werde ich mich dem Antrag anschließen, der ein grundsätzliches Verbot vorsieht. Mir ist klar, dass hinter der PID schwierige Entscheidungen stehen für Ärzte und Betroffene. Ich will keine Gesellschaft, die Behinderung nicht mehr erträgt, in der Menschen unter Druck geraten, wenn sie sich für ein behindertes Kind entscheiden.

Zuwanderung, medizinischer Fortschritt – ist die konservative Partei CDU gerüstet für diese Zukunftsfragen?

Schavan:Die CDU ist die letzte Volkspartei mit starkem Wurzelwerk. Deshalb können wir auch leidenschaftlich für die Zukunft werben. Wir sind bereit für Veränderungen. Wie ist denn das Ruhrgebiet groß geworden? Wie ist der Essener Dom entstanden? Doch nicht mit einer Verweigerungshaltung. Die Grundeinstellung war: Neues schaffen, gestalten. Und das ist auch jetzt unsere Aufgabe und soll Markenzeichen der Union werden. Deshalb werden wir beim Parteitag 2011 das Zukunftsthema schlechthin in den Mittelpunkt stellen: die Bildung.

viaInterview: Schavan will Muttersprache zur Zeugnisnote machen – Politik – DerWesten.


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