Abdullah Gül (M) schließt nicht aus, dass das türkische Volk eine EU-Mitgliedschaft am Ende des Betrittsprozesses ablehnen könnte. Foto: dpa

Gül: EU sollte sich nicht vor Türkei fürchten

Der türkische Präsident Abdullah Gül wirft Gegnern eines EU-Beitritts seines Landes einen Mangel an Visionen vor. Die halbe Milliarde Menschen in der EU bräuchten sich nicht vor der Türkei zu fürchten. Mitglied könne man ohnehin nur werden, wenn man „das Niveau der EU-Staaten“ erreicht habe. Über eine wachsende antiislamische Stimmung in Europa zeigt sich Gül indessen beunruhigt.

Abdullah Gül (M) schließt nicht aus, dass das türkische Volk eine EU-Mitgliedschaft am Ende des Betrittsprozesses ablehnen könnte. Foto: dpa
Abdullah Gül (M) schließt nicht aus, dass das türkische Volk eine EU-Mitgliedschaft am Ende des Betrittsprozesses ablehnen könnte. Foto: dpa

Der türkische Staatspräsident Abdullah Gülwirft den Gegnern einer EU-Mitgliedschaft seines Landes einen Mangel an Visionen vor. Dies sagte er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom Samstag (16. Oktober 2010).

Ähnlich hatte sich bereits der türkische Botschafter in Deutschland, Ahmet Acet, im Interview mit EurActiv.de geäußert: „Es gibt einen Mangel an Visionen, wenn es darum geht, wie und warum die Türkei ein Teil der EU werden kann. Ich möchte keine Namen nennen, aber wenn Sie sich einige der neuen Mitgliedsstaaten anschauen, werden sie hier eine fehlende Verbindung ausmachen.“

Angst vor 60 bis 70 Millionen Bürgern?

Auf die Frage, ob die zunehmend negative Stimmung gegenüber Muslimen die Chancen der Türkei auf einen EU-Beitritt gefährde, sagte Gül: „Die EU mit einer halben Milliarde Menschen sollte sich nicht vor einem Land mit 60 bis 70 Millionen Bürgern fürchten.“

Gül erklärte, dass die Türkei ohnehin nur Mitglied werden könne, „wenn sie das Niveau der EU-Staaten erreicht.“ Außerdem sei nicht auszuschließen, dass das türkische Volk am Ende die Vollmitgliedschaft ablehnen könnte. Auch aus diesem Grund sollten die Verhandlung nicht verschleppt werden.

Bisherige Reformen in der Türkei nicht ausreichend

Die EU bleibe das Ziel der Türkei, denn das Land wolle sich weiter demokratisieren. Bisher vorgenommene Reformen würden nicht genügen, so Gül. Anfang September hatten die türkischen Wähler für die weitreichendste Verfassungsreform seit Jahrzehnten gestimmt (EurActiv.de vom 13. September 2010).

Gül kritisierte das restriktive Internetgesetz seines Landes und kündigte Verbesserungen an. Auch die neue Flut von Anklagen gegen Journalisten bewertete er kritisch.

Verteidigung der neuen türkischen Außenpolitik

Der Staatspräsident verteidigte dahingegen die neue türkische Außenpolitik. Wenn die Türkei bessere Beziehungen zu arabischen Ländern und auch zu einstigen Feinden wie Syrien pflege, solle man dies nicht kritisieren.

Die Türkei brauche ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarn. Sein Land wolle „größtmöglichen Nutzen“ aus seiner geopolitischen Lage ziehen, so der Präsident. Süleyman Bağ, Kolumnist der türkischen Tageszeitung ZAMAN, hatte ebenfalls die strategisch „sehr wichtige Lage“ der Türkei im Interview mit EurActiv.de hervorgehoben. Diese mache es notwendig, dass sich das Land in alle Richtungen entwickle.

„Islamophobie, Rassismus, Antisemitismus sind Krankheiten“

Über eine wachsende antiislamische Stimmung in Deutschland, aber auch anderen europäischen Ländern zeigt sich Gül beunruhigt. Er forderte die Politiker und die Intellektuellen in den jeweiligen Staaten auf, etwas dagegen zu tun. Islamophobie, Rassismus sowie Antisemitismus nannte der Präsident eine „Krankheit, die von Zeit zu Zeit ausbricht“.

Für die mangelnde Integration mancher seiner Landsleute in Deutschland fand Gül kritische Worte. Es gehöre zur Wirklichkeit, dass „einige immer noch leben wie in den Tagen, als sie die Türkei verließen. Deshalb sage er „bei jeder Gelegenheit, sie sollen deutsch lernen, und zwar fließend und ohne Akzent.“ Wenn man die Sprache des Landes, in dem man lebt, nicht spreche, nutze das niemanden.

Lob für Bundespräsident Wulff

Gül lobte Bundespräsident Christian Wulff für dessen in der Union kritisierte Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland. Seine Rede zum Tag der deutschen Einheit sei missverstanden worden. „Christian Wulff hat doch nur die Tatsache benannt, dass es deutsche Bürger gibt, die Muslime sind, ebenso wie türkische Muslime in Deutschland.“

In keinem großen oder bedeutenden Land der Welt gebe es nur einen einzigen Glauben oder eine Kultur. „In einem kleinen Land geht das vielleicht, aber wer sich zur Welt öffnet, muss mit verschiedenen Kulturen und Religionen leben.“ Wulff reist in der kommenden Woche zu einem Besuch in die Türkei.

dto


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