Geldscheine als Zeichen politischen Wandels

Es geht um die symplektische Basis, um Körper der Charakteristik 2 und um Isomorphismen. Was genau das ist, sei dahingestellt. Jedenfalls beschäftigte sich Cahit Arf damit, der von 1910 bis 1997 lebte. Als Ergebnis lieferte er eine bedeutende mathematische Formel, die nach ihm Arf-Invariante genannt wurde. Seit 2005 würdigt das die Türkei, indem sie ihren bedeutendsten Mathematiker auf der Rückseite des 10-Lira-Scheins abbildet, zusammen mit seiner Formel, die aber wohl nur die allerwenigsten verstehen, die die Banknote in Händen halten.

Das ist nicht weiter schlimm. Denn das eigentlich Interessante an dem Schein ist, dass darauf überhaupt jemand anderes als der Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk zu sehen ist. Jahrzehntelang war er die einzige Persönlichkeit, die auf den Lira-Scheinen abgebildet wurde, abgesehen von einem kleinen Zwischenspiel in den 80ern. Damals zierte kurzzeitig Mehmet Akif Ersoy, der Dichter der Nationalhymne, die 100-Lira-Scheine, ein Sultan und ein Mystiker des Mittelalters waren auf zwei weiteren Scheinen zu sehen. Nach wenigen Jahren wurden diese Banknoten aber schon wieder durch andere ersetzt, auf denen Atatürk selbstverständlich wieder allein vertreten war.

Auch auf den neuesten Scheinen, die seit 2005 im Umlauf sind, ist er nach wie vor auf allen Vorderseiten abgebildet. Die Rückseiten nehmen nun aber andere Personen der jüngeren und älteren Geschichte ein. Neben Arf ist mit Aydin Sayili ein weiterer Wissenschaftler vertreten, dazu gesellen sich ein Architekt, ein Musiker, ein Volksdichter und auch eine Frau, die Schriftstellerin Fatma Aliye Topuz. Ihre Wahl löste damals jedoch in der Türkei Diskussionen aus. Denn sie war eine Kritikerin der Reformen Atatürks gewesen und vertrat Zeit ihres Lebens konservative Positionen, die sich am Islam als ethischer Grundlage orientierten.

Dass die islamisch-konservative Regierung, die seit 2001 an der Macht ist, ausgerechnet sie auswählte, ist daher wohl kein Zufall. Durch Fatma Aliye und auch durch die Tatsache, dass Atatürk nun eben nicht mehr das alleinige Gesicht der Republik auf den Geldscheinen ist, dokumentiert sie letztlich nur die politischen Veränderungen der jüngsten Zeit in der Türkei.

Zu diesen Veränderungen gehört jedoch auch, dass es dieser Regierung gelungen ist, die Inflation zu stoppen. Denn bis Ende 2004 mussten die Türken stets in Millionen rechnen. Preissteigerungsraten von 70 Prozent und mehr hatten in den 90er-Jahren den Wert der Währung mehr und mehr zerfressen. Seit der Regierungsübernahme 2001 durch Recep Tayyip Erdogan hat sich das jedoch spürbar gebessert. Mit den neuen Geldscheinen 2005 war daher auch eine Währungsreform verbunden, bei der eine Million alter Lira in eine neue gewechselt wurden. Während ein Euro zuvor rund 1,8 Millionen Lira wert war, waren es danach noch 1,80 Lira. Heute liegt der Kurs etwa bei 2,30 Lira.

Der Name klingt übrigens nicht nur zufällig so ähnlich wie das alte italienische Geld. Das Wort geht in beiden Fällen auf das lateinische „libra“ zurück, was Pfund bedeutet. Vor allem im Mittelmeerraum ist es seit Langem eine weit verbreitete Währungseinheit. In Syrien und Ägypten zahlt man heute noch in Pfund. Auch die türkische Lira wird daher bis heute manchmal noch als türkisches Pfund bezeichnet.

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