Mehr Diskriminierungen im Job während der Krise

Weltweite UN-Studie: Ältere Arbeitnehmer, Berufseinsteiger und Migranten besonders betroffen

In Industrieländern werden Raucher und Übergewichtige zunehmend diskriminiert. Frauen weiter benachteiligt

Die Weltwirtschaftskrise hat das Risiko von Diskriminierung am Arbeitsplatz erhöht. Seit Beginn der Krise Ende 2008 seien weltweit mehr Beschwerden registriert worden, die die Gleichstellung betreffen, stellt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem neuen Bericht „Equality at work 2011“ fest, der an diesem Montag in Genf vorgestellt wird und der „Welt“ vorabn vorliegt. „Wirtschaftlich schwierige Zeiten sind ein Nährboden für Diskriminierung am Arbeitsplatz“, erklärt ILO-Generaldirektor Juan Somavia. Vor allem schlecht ausgebildete Arbeitnehmer, Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund und ältere Arbeitnehmer seien betroffen gewesen.

Obwohl immer mehr Länder das Renteneintrittsalter hoch setzen, seien Ältere auf dem Arbeitsmarkt häufig diskriminiert. In den USA, Großbritannien und Frankreich habe die Zahl der entsprechenden Beschwerden während der Krise zugenommen, und bei einer Umfrage in der Europäischen Union sagten 64 Prozent der Teilnehmer, sie rechneten damit, dass die Krise zu mehr Diskriminierung gegen Ältere führen werde.

Aber auch die ganz Jungen, die gerade ihren ersten Job suchten, hätten unverhältnismäßig stark gelitten. Für jüngere Arbeitnehmer habe die Krise die ohnehin schwierige Situation verschärft, heißt es in dem Bericht. Ende 2009 habe es einen neuen Rekordwert von 81 Millionen arbeitslosen jungen Menschen weltweit gegeben.

Für Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund seien die Beschäftigungschancen während des Abschwungs gesunken, hingegen hätten Fremdenfeindlichkeit und Gewalt gegen sie zugenommen. In den meisten Ländern seien ausländische Arbeitnehmer schneller von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen als Einheimische. Ein Grund sei, dass Migranten häufig in besonders betroffenen Sektoren wie der Bau- und Tourismuswirtschaft arbeiteten. Viele Länder hätten zudem in Folge der Rezession ihre Zuwanderungsquoten gesenkt. Australien beispielsweise habe 2009 die Aufnahme von qualifizierten Arbeitnehmern auf nur noch 108 100 Einwanderer gesenkt – von 133 500 im Jahr 2008.

Viele Menschen bekämen wegen rassistischer Vorurteile keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, urteilt die ILO. Vor allem Menschen mit afrikanischer oder asiatischer Herkunft seien betroffen. In entwickelten Ländern würden Mitarbeiter inzwischen aber auch immer häufiger wegen ihres Lebensstils diskriminiert – etwa weil sie rauchen oder übergewichtig sind.

In Entwicklungsländern bekamen dem Bericht zufolge vor allem Frauen die Krise zu spüren. So habe es in der afrikanischen Textilindustrie besonders viele Entlassungen gegeben – in dieser Branche arbeiten zu 90 Prozent Frauen ohne Ausbildung. „In der Krise werden Frauen häufig als Erste entlassen und bekommen als Letzte wieder einen Job“, heißt es in dem Bericht.

In entwickelten Ländern konnte die ILO dagegen keine große Auswirkung der Krise auf die Beschäftigung von Frauen feststellen. In Großbritannien sank die Beschäftigungsrate von Männern sogar stärker als die von Frauen. Auch die Lohndifferenz habe sich durch die Krise nicht vergrößert. Insgesamt würden Frauen aber weiterhin schlechter bezahlt als Männer, seltener befördert oder überhaupt eingestellt, und sie seien auch von Armut häufiger betroffen: „829 Millionen Frauen leben weltweit in Armut, dagegen nur 522 Millionen Männer“, schreiben die Studienautoren. Die Gehälter von Frauen stellen im Durchschnitt weiterhin nur 70 bis 90 Prozent der Männergehälter dar.

Trotz der „bedeutenden Fortschritte“, die es in den vergangenen Jahrzehnten gegeben habe, und trotz der vielen Gesetzesänderungen zugunsten der Gleichberechtigung von Mann und Frau am Arbeitsplatz gebe es immer noch große Herausforderungen: So würden Frauen weiter in der Schwangerschaft oder als Mütter diskriminiert – oder einfach weil sie schwanger werden könnten. Die Fälle von Kündigungen wegen Schwangerschaft oder der Nichtauszahlung von Gehaltsleistungen vor oder nach der Geburt hätten zugenommen. Schwangerschaften würden auch besonders häufig als Grund für die Nichtbeförderung von Frauen genannt. Viele Frauen klagen zudem, dass der Arbeitgeber sie nach der Mutterschaftspause nicht an den alten Arbeitsplatz zurückkehren lässt. Auch sexuelle Belästigung bleibt der ILO zufolge ein großes Problem am Arbeitsplatz. Opfer seien meist junge, alleinstehende oder geschiedene Frauen, die finanziell besonders abhängig von ihrem Job seien.

Die Internationale Arbeitsorganisation ist eine Behörde der Vereinten Nationen, in der Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeber aus 183 Staaten Mindeststandards in den Arbeitsbeziehungen ausarbeiten und kontrollieren.

via Mehr Diskriminierungen im Job während der Krise – Nachrichten Print – DIE WELT – Wirtschaft – WELT ONLINE.


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