Teil der Kultur: Türkische und arabische Zuwanderer. Foto: reuters

Schule: „Ghettos sind oft gar nicht schlecht“

17.11.2010 | 16:28 |  Von BERNADETTE BAYRHAMMER (DiePresse.com)

Warum sich deutsche Eltern um Plätze in türkischen Schulen reißen, türkische Kinder schlechter Deutsch sprechen und Bezirke mit vielen Migranten auch Vorteile haben. Expertin Dirim im DiePresse.com-Interview.

DiePresse.com: Matura in der Muttersprache und in Deutsch als erste Fremdsprache – was halten Sie davon?

Inci Dirim: Bis dahin hätten wir einen sehr langen Weg. Außerdem ist Deutsch für Kinder und Jugendliche, die in Österreich aufwachsen, niemals eine Fremdsprache. Es ist immer ihre Zweitsprache oder sie wachsen von klein an mit zwei Sprachen als Muttersprache auf. Deshalb müsste die Diskussion folgendermaßen lauten: Matura sowohl in der Muttersprache als auch in Deutsch. Das könnte ich mir schon vorstellen. Allerdings sind wir sehr weit davon entfernt.

Dann fangen wir klein an: Was halten Sie davon, nicht nur Sprachunterricht sondern auch normalen Unterricht auf Türkisch, Serbokroatisch abzuhalten?
Untersuchungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Sprachförderung nur dann nachhaltig erfolgreich sein kann, wenn sie mit Fachinhalten verknüpft wird. Das gilt natürlich auch für die Muttersprache. Das Modell der bilingualen Schulen, zum Beispiel Deutsch und Serbokroatisch oder Deutsch und Türkisch, hat da sehr gut abgeschnitten. Wenn das nicht möglich ist, könnte man sich das Ziel vornehmen, ein paar Angebote in der Muttersprache laufen zu lassen. Das wäre sehr schön.

Es gibt aber ja im Moment zu wenige bilinguale Lehrer, die Fachunterricht auf Deutsch und in einer „ungeliebten Zweitsprache“ vermitteln können.
Man braucht dazu vielleicht keine Fachlehrer, die sehr gut Deutsch können, sondern Lehrer, die die Herkunftssprachen sehr gut beherrschen. Da kann ich mir durchaus eine Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern vorstellen. Solche Versuche hat es zum Beispiel in Hamburg gegeben: Dort sind die Lehrkräfte für den bilingualen Unterricht aus der Türkei, aus Portugal, aus Spanien und aus Italien gekommen und haben dann vier Jahre in Hamburg gearbeitet. Das ist vielleicht nicht das idealste, wäre aber denkbar.

Müssen österreichische Eltern Angst haben, dass das Serbokroatische oder das Türkische das deutsche als Unterrichtssprache verdrängt?

Das Deutsche ist so gut verankert und wird als Amts- und Nationalsprache staatlich so gut gestützt, dass das unmöglich ist. Da müssen sich Eltern keine Sorgen machen. Ich habe in Hamburg zwei bilinguale deutsch-türkische Grundschulklassen mitbegleitet. Viele deutsche Eltern wollten gerne, dass ihre Kinder diese Klassen besuchen. So viele, dass in Anwesenheit eines Notars ausgelost werden musste, wer die Plätze bekommt.

Warum der große Ansturm?
Da gab es verschiedene Argumente. Ein Teil der Eltern hat gesagt, ich habe auch ein bisschen Türkisch gelernt, vom Nachbarn, auf der Straße. Und mein Kind kann es richtig in der Schule lernen. Andere haben gesagt, solche Projekte sind besser ausgestattet, da gibt es mehr Geld und besser ausgebildete Lehrer. Andere haben wieder gesagt, wenn mein Kind jetzt Türkisch lernt, dann kann es später sicher auch andere Sprachen besser lernen. Ich kann mir vorstellen, dass es auch österreichische Eltern gibt, die sich für solche bilingualen Modelle entscheiden.

Zum Deutscherwerb: Eigentlich lernen Kinder doch recht schnell, warum sind die Deutschkenntnisse vieler Kinder mit Migrationshintergrund trotzdem so schlecht?
Kinder lernen zwar schnell, sie brauchen aber in der Bildungssprache trotzdem Unterstützung. Das sogenannte „Sprachbad“, wo man glaubte, es reiche aus, wenn Kinder in der Schule im Kontakt mit anderen Deutsch lernen, hat sich als weitgehend nutzlos erwiesen. Es braucht Förderunterricht, und zwar mindestens sechs oder sogar acht Jahre. Das umgangssprachliche Deutsch ist kein Problem, das kann jeder. Aber um an der Bildungssprache teilnehmen zu können, brauchen die Kinder Unterstützung. Viele Kinder wachsen in Stadtteilen auf, wo viele Migrantensprachen gesprochen werden. Da haben sie oft nicht so viele Möglichkeiten, das Deutsche weiter zu entwickeln. Daher ist die Sprachförderung an Schulen unheimlich wichtig.

Gibt es Studien zu Sprache in solchen „Ghettos“, wie sie der türkische Botschafter nennt, in Wien?
Den Ausdruck verwende ich nicht so gerne. Zu Wien kenne ich keine, man kann aber Erkenntnisse aus europäischen Städten, die viel von Migration geprägt sind, auf Wien übertragen. Migrantensprachen sind vital. Das heißt dass Migranten, wenn sie nach Östereich kommen, nicht einen Sprachwechsel vollziehen und nicht nur Deutsch sprechen. Daher muss man mit einer dauerhaften Mehrsprachigkeit rechnen und sollte die Schulpolitik auch entsprechend ändern. Das, was der türkische Botschafter „Ghetto“ genannt hat, ist für schulpolitische Maßnahmen gar nicht so schlecht.

Warum das?
Wenn man weiß, wir haben einen Stadtbezirk, wo sehr viel türkisch gesprochen wird, kann man sehr gut über bilinguale Modelle nachdenken. Wenn Sie sich Kanada anschauen: Dort ist man stolz auf Stadtteile, wo Chinesisch oder Arabisch gesprochen wird, man arbeitet in der Schule damit, das findet man positiv. Ich frage mich dann: Warum finden wir das jetzt so schlecht?

Türkische Kinder und Jugendliche gelten als besondere Problemgruppe, was den Erwerb der deutschen Sprache betrifft. Was ist da dran?
Das müsste man genauer untersuchen. Katharina Brizic (Linguistin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Anm.) hat herausgefunden, dass es daran liegen könnte, dass die Familien vieler Kinder auch in der Türkei Minderheiten waren, Eltern und Großeltern vielleicht Kurdisch gesprochen haben. Kurdisch wird in der Türkei nicht in der Schule unterrichtet, da gab es also schon Schwierigkeiten mit der Bildungssprache. Diese Probleme könnten stärker werden, wenn man nach Österreich einwandert.

Kann es daran liegen, dass sich Migranten aus der Türkei in Österreich unwillkommener fühlen als andere – wie auch der Botschafter sagt?
Untersuchungen aus Deutschland zeigen, dass es aufgrund von Ausgrenzungstendenzen und Zuschreibungen eine Art „Re-Ethnisierung“ geben kann. Dass Kinder sich dann auf ihre Herkunft besinnen. Aber das muss kein Grund dafür sein, dass weniger Deutsch gelernt wird. Ich denke dass die Schichtzugehörigkeit eine größere Rolle spielt. Das haben auch Untersuchungen gezeigt.

Wie sinnvoll wäre Ihrer Meinung nach eine Deutschpflicht am Schulhof?
Nicht sinnvoll. Kinder und Jugendliche sprechen miteinander, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, nicht um eine bestimmte Sprache zu lernen oder zu üben. Sie wollen sich miteinander austauschen. Viele merken gar nicht, welche Sprache sie dabei verwenden. Diese Kontakte so zu beschneiden, finde ich für die sozialen Kontakte und für die Entwicklung von Freundschaften sehr schlecht.

Und für das Erlernen der deutschen Sprache?
Für das Lernen finde ich es auch nicht sinnvoll. Denn die Kinder und Jugendlichen sprechen unter sich nicht das bildungssprachliche Deutsch, das in der Schule benötigt wird. Es ist sowieso keine gute pädagogische Maßnahme, mit solchen Verboten zu arbeiten. Es müssen Angebote gemacht werden, damit die Kinder gerne Deutsch sprechen.

Was ist aus Ihren Freunden von damals geworden?

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ZUR PERSON
Inci Dirim, 1965 geboren in Gladbeck, Deutschland, ist Professorin für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien. Sie forscht unter anderem zu Schulbildung und Migration. Seit März 2010 ist sie am Institut für Germanistik tätig.

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