Reisebericht: Gregors Motorradreise um die Ägäis

Türkei
26.Mai – 20. Juni 2003
6.6.2003 – Edirne

Die Grenzformalitäten zur Türkei sind wieder mal skurril. Mindestens 5 mal Papiere zeigen, zahlen, stempeln lassen, Formular ausfüllen, etc. Horden von Menschen sind hier im Dienst, alles ohne viel erkennbaren Sinn und Zweck. Es geht einigermaßen fix, aber ich möchte nicht wissen, wie es in der Hauptsaison zugeht, wenn hier die Warteschlangen in der Hitze schmoren.

Edirne

10 km nach der Grenze kommt Edirne. Ich hatte von einer Grenzstadt nicht viel erwartet, drum war die Überraschung umso größer. Eigentlich wollte ich hier nur eine Landkarte kaufen, aber die Stadt nimmt sofort gefangen. Kein Wunder, war doch Edirne Jahrhunderte lang die zweite Hauptstadt des osmanischen Reiches. Dutzende von Minaretten, Basare, Geschäfte, und adrette, freundliche Leute. Dann stolpere ich noch ins Hotel „Kervansaray“, ehemals eine ottomanische Karavanserei, wie der Name schon sagt. Es ist ein 2-stöckiger Arkadenbau mit einem großen, kühlen, ruhigen Innenhof, ähnlich dem Innenkreuzgang eines Klosters. Im oberen Stockwerk unter den Arkaden sind die Zimmer, hinter dicken Wänden, mit kleinen Fenstern und Blick auf den Park.

Edirne gilt als eine der am besten erhaltenen Ottomanischen Städte. Ich besuche zwei Moscheen in der Innenstadt, die alte Moschee im Stadtzentrum, und die berühmte Moschee des Kalifen Selim, fertiggestellt 1575. Letztere ist ein Kuppelbau von absolut beeindruckenden Ausmaßen, mit einer zentralen Rundkuppel auf vier massiven Säulen.

Die Straßencafes sind voll. Cola, Tee, Wasser, Eiskrem – aber niemand trinkt Bier. Das ist im Straßencafe verboten, erfahre ich später.

Die Nacht verläuft etwas unruhig, aber wir sind schließlich in der Innenstadt, mitten zwischen den Parkcafes, dem Basar, dem Taxihalteplatz und ein paar Hauptstraßen.

7.6. 2003, Kücükkuyu

Die ersten 200 km nach Edirne sind flaches, grünes, offensichtlich fruchtbares Ackerland, mit wenigen Dörfern, wenig Menschen. Es zieht sich, die Entfernungen sind größer als ich in meiner Naivität angenommen habe.

Ab Kesan wird’s hügelig, kurz danach kommt das Meer in Sicht. Bei Kadiköy fahre ich an ein Stranddorf, aber statt mediterranem Remmidemmi ist dort nur ein Kuhdorf und ein paar Fischerboote am naturbelassenen Flachstrand. Das Wasser ist lehmig braun. Ich trinke ein Glas Coke im Dorfcafe, wasche das Helmvisier, und weiter geht’s.

Dann kommen die Dardanellen, die Meerenge, die das Marmara- mit dem Mittelmeer verbindet. Die nächsten 80 km bis Eceabat sind sensationell. Gut ausgebaut, kurvig, mit blühendem Ginster am Straßenrand, und ständigem Blick auf die Dardanellen. In Eceabat muss ich 45 Minuten auf die Fähre warten. Das Ticket kostet 1,30 EUR. Zeit für ein gutes Mittagessen.

Auf der Fähre sind jede Menge Busse und Kids, es ist schließlich Samstag. Die Kids kommen aus Istanbul und machen einen Schulausflug nach Troja, und sie probieren ihr Schulenglisch an mir aus. Die Fähre erreicht nach 30 Minuten das kleinasiatische Ufer in Canakkale. Die Stadt ist wie viele Hafenstädte dieser Welt, der Sinn und Zweck dieses Ortes ist „nix wie weg“.

In der Nähe, 15 km südwestlich, liegt Troja, wo mich ein Dutzend Souvenirshops, Restaurants, brüllende Hitze, und eine der berühmtesten Ausgrabungen des Landes erwarten.

Etwa weitere 100km südwestlich stoße ich wieder auf die Küste und mache Halt in Kücükkuyu. Ein verschlafenes Fischer- und Olivenbauerndorf. Am Hafen gibt es ein halbes Dutzend Tavernen mit ausschließlich einheimischen Touristen. Im Restaurant Eylüö gibt es gutes Essen mit Live-Entertainment, ein Späthippie singt alle Weltschlager, bis eine türkische Kundin einstimmt, und die ist richtig gut. Der Chef, Saffet, war als junger Mann in Deutschland, hat jede Menge nützliche Informationen für meine weitere Reise und unterhält mich blendend. Nach dem dritten Raki verabschiede ich mich in die wohlverdiente Nachtruhe.

8.6.2003 – von Kücükkuyu nach Bergama

Das Frühstück und das Bad im Meer wirken nur langsam, ich leide noch an den drei Raki von gestern Abend. Erst um 11:30 Uhr komme ich los. Beim Packen ist der linke Spiegel abgefallen, einfach so. Der Bruch war wohl schon lange im Entstehen. Ohne diesen Rückspiegel fährt sich’s gar nicht gut, da muss schnellstens Ersatz her, aber das wird wohl erst in Izmir gehen.

Es ist unheimlich heiß, schon nach wenigen Kilometern muss das Leder weg, sonst erleide ich den Hitzetod. Über 35°, schätze ich. Schnell zeigt sich, dass Kücükkuyu nicht nur die verträumte Oase ist als die sie sich gestern am Hafen darbot, sondern der Anfang vom Business an diesem Küstenstrich. Es gibt hier Hunderte von Ferienhaussiedlungen, verstaubte Dörfer, die in der Metamorphose zur Touri-Industriestadt sind. Nicht so doll.

Nach Armutova beschließe ich, die Schnellstraße an der Küste zu verlassen. Über die Berge führt eine Nebenstraße über Kozak 60 km nach Bergama – das ist was für mich.

Es fängt gut an. Kein Verkehr, leidlich gute Straße in schöner Hügellandschaft. Nach der halben Strecke wird’s jedoch kriminell, die Straße ist flüssig von der Hitze, als hätte es Teer geregnet. Nach 10 km, im bergigen, kurvenreichen Teil, kommt „Linderung“, da haben die massenhaft Sand gestreut, wohl um den Teer zu binden. Kurven und Sand – Prost Mahlzeit. Ich bewege mich mit weniger als 30 KM/h fort. Und das ist gut so. Bei Kozak biegt ein Verrückter volles Rohr unmittelbar vor mir aus einem Waldweg in meine Fahrbahn ein. Ich entgehe nur mit viel Glück einem Sturz oder einer Kollision. Hitze, Teer, Sand, Spiegel fehlt, und Kameltreiber am Steuer, mein Kopf brummt und die Stimmung könnte besser sein.

Bergama

In Bergama (das antike Pergamon) habe ich genug und steige in der Pension „Böblingen“ ab. Ich besuche die örtlichen, berühmten Sehenswürdigkeiten, soweit ich bei der Hitze die Motivation dafür aufbringen kann. Der spektakulärste Fund, zum Beispiel der Zeus-Altar aus der Akropolis von Pergamon, ist seit 130 Jahren sowieso nicht mehr hier zu besichtigen, dazu muss man nach Berlin in das gleichnamige Museum fahren.

Heute ist in der Innenstadt beim Fußballstadion großes Volksfest mit Markt. Ich lasse mich zwischen tausenden von Menschen durchschubsen. Anscheinend wird dieses Volksfest stark von Leuten aus der konservativ ländlichen Umgebung frequentiert, fast alle Frauen tragen Kopftücher.

9.6.2003 – Izmir und Cesme

Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Pensionswirt zu dessen Schwager’s Autowerkstatt. Dort wird für meinen abgebrochenen Rückspiegel geschwind ein neuer Gewindebolzen gedreht und angeschweißt. Passt wie neu. Um 11 Uhr bin ich wieder on the Road, Richtung Izmir.

Izmir

Izmir erinnert mich an Saloniki, viel Verkehr und statt einer Uferpromenade nur eine Schnellverkehrsstraße. Aber ich will nicht meckern, ich habe Izmir nicht wirklich gesehen. Die Zeit beginnt mir knapp zu werden, ich muss herausfinden, ob ich von hier irgendwie mit der Fähre nach Piräus komme. Nach langem Telefonieren erfahre ich, dass es eine Fähre von Cesme, 85 km westlich von Izmir, zur griechischen Insel Chios gibt. Ich will zum Fährbüro in Izmir, gerate dabei auf die Stadtautobahn nach Südwesten, finde keine Gelegenheit zum Wenden oder zur Ausfahrt. Bevor ich mich’s versehe, bin ich bereits 15 km außerhalb der Stadt. Jetzt mag ich nicht mehr zurück, die Sehenswürdigkeiten von Izmir hab ich wohl verpasst. Ich bin sicher, dass ein Aufenthalt von mindestens einem Tag mir durchaus die Reize dieser Stadt erschlossen hätte. Ein andermal vielleicht.

Cesme

Cesme ist ein kleines, gemütliches Hafennest, mit einem Kastell, einer hübschen Altstadt, netten Restaurants und der Gemächlichkeit der Vorsaison. Am Fährbüro treffe ich zwei Gold Wings aus Waiblingen, das sind die ersten Motorradtouristen meiner ganzen Reise bisher. Wir essen zusammen und reden Reise und Benzin. Wir finden eine Pension für 4,50 EUR pro Person, spottbillig und noch nicht mal schlecht.

10.6.2003 – von Cesme nach Chios

Morgens um 9:30 geht die Fähre. Einer der Wing-Reiter hat das Zollformular für seine Maschine verloren, das bringt für ihn schlimme Komplikationen. Er muss zum Zollamt, den Verlust melden, und die genaue Zeit und den Ort der Einreise angeben, damit die Zöllner von dort eine Kopie der Einfuhrdokumente per Fax anfordern können. Die Prozedur dauert 6 Stunden und kostet 90 EUR, also verpasst er die Fähre nach Chios. Schlimmer noch, er ist kein EU-Bürger und braucht ein Visum für die Türkei, aber das läuft heute ab, also muss er wegen der verpassten Fähre wahrscheinlich auch noch irgendwie sein Visum verlängern.

So leid es mir tut, muss ich den Unglücksraben seinen Problemen überlassen und fahre allein nach Chios los.


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