Vermeintlicher Genozid an Armeniern

Sehr geehrter Herr Özdemir,

da ich in den vergangenen Tagen in zahlreichen Zeitungen und Nachrichten immer wieder Ihren Namen im Zusammenhang mit einem historisch äußerst sensiblen Thema lesen „durfte“, verspürte ich das Bedürfnis, Sie persönlich zu kontaktieren und einige Ungereimtheiten aus dem Weg zu räumen.

Zunächst einmal will ich mich kurz vorstellen: Mein Name ist Deniz Sengül, ich bin 25 Jahre alt und – ich formuliere es mal politisch korrekt: ein „Deutscher mit türkischem Migrationshintergrund“ (genau wie Sie). Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, zudem ein deutscher Staatsangehöriger, der sich darüber hinaus im 8. Semester des Lehramtsstudiums befindet und somit letztendlich eine Beamtentätigkeit in diesem wunderbaren Land anstrebt. Ich kann, denke ich, ruhigen Gewissens behaupten, dass ich hervorragend in diese Gesellschaft integriert bin und mich der deutschen Kultur weitgehend angepasst habe.

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Özdemir, habe ich meine türkischen „Wurzeln“ allerdings nie vergessen und betrachte diese auch nicht als Bürde. Ich habe mich zwar integriert, allerdings im Gegensatz zu Ihnen gegen eine vollständige Assimilation gewehrt. Ohne an dieser Stelle „romantisch um den heißen Brei herumreden zu wollen“: Ich bin stolz auf meine türkische Herkunft, und hätte mir von Ihnen als verantwortungsvollen Politiker, der sich um die Integration zahlreicher verschiedener Bevölkerungsgruppen in die deutsche Gesellschaft bemüht, eine ähnliche Haltung gewünscht, da Sie auf diese Weise Integration VORGELEBT hätten, statt sich vollständig zu assimilieren!

Der eigentliche Grund dafür, dass ich Sie mit diesem langen Schreiben störe, ist natürlich der unmittelbar bevorstehende 100. Jahrestag des vermeintlichen „Völkermordes“ an Armeniern im Osmanischen Reich. Im Hinblick auf dieses äußerst sensible Thema haben Sie mal wieder die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und sich ins Rampenlicht geredet – leider jedoch durch eine völlig einseitige und darüber hinaus falsche Darstellung der Ereignisse!

Dass Letztere von den Armeniern selbst, ihrer äußerst einflussreichen Diaspora sowie einigen -wiederum politisch korrekt: „türkeiskeptischen“ – Politikern und Abgeordneten offiziell als „Genozid“ bezeichnet werden, verwundert ohnehin nicht. Auch die Tatsache, dass einige europäische Parlamente die Leugnung des angeblichen „Völkermordes“ per Gesetzesentwurf unter Strafe stellen wollten (übrigens aus rein populistischen, wahltechnischen Gründen) und die Frage, wie eine derart faschistische Maßnahme mit dem Prinzip der freien Meinungsäußerung vereinbar ist, kann man an dieser Stelle (auch unter der Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das die Verurteilung des türkischen Politikers Dogu Perincek aus den eben aufgeführten Gründen in erster Instanz ablehnte und höchstwahrscheinlich auch in zweiter Instanz ablehnen wird) außen vor lassen.

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Sogar die massive Medienpropaganda unmittelbar vor dem 100. Jahrestag des vermeintlichen „Genozids“ ist unter Berücksichtigung der äußerst effizienten Lobbyarbeit der armenischen Diaspora verständlich und war meiner Ansicht nach zu erwarten, gerade auch aufgrund des langjährigen „Narkosezustandes“ der türkischen Regierung, die vielmehr damit beschäftigt zu sein scheint, die zahlreichen politischen Gegner im Inland zu neutralisieren und sich in ihrem Korruptionssumpf weiterhin die Taschen vollzustopfen, als gezielt nationale Interessen im In- und insbesondere Ausland zu vertreten.

Dass allerdings ein Politiker mit türkischen „Wurzeln“ (Sie merken, mit diesem Begriff kann ich nicht sonderlich viel anfangen) so vehement für die offizielle Bezeichnung der Ereignisse von 1915 als „Völkermord“ eintritt und fast täglich völlig einseitige Statements zu einem solch sensiblen Thema abgibt, ist für mich eine unfassbare Verantwortunglosigkeit und – so leid mir die Bezeichnung tut – eine Schande!

1) Es ist nicht die Aufgabe von Politikern oder geistigen Oberhäuptern (auch nicht des Papstes!) historische Ereignisse einzustufen, zu definieren und dadurch schwerwiegende Folgen auszulösen (bspw. die Zahlung von Entschädigungsgeldern trotz einer nach wie vor ungeklärten historischen Angelegenheit).

2) Die türkische Regierung (und ich bin ein leidenschaftlicher Erdogan-Gegner, das können Sie mir glauben!) schlägt der armenischen Regierung seit Jahren die Gründung einer unabhängigen Historikerkommission vor, die sich sowohl aus türkischen, als auch aus armenischen und weiteren internationalen Geschichtswissenschaftlern zusammensetzen und die Ereignisse, die von Ihnen, zahlreichen Politikern und Parlamenten sowie Medien von vornherein als „Völkermord“ bezeichnet werden, aufarbeiten und lückenlos aufdecken sollen. Die Türkei betonte bereits mehrfach, dass sie hierfür bereit wäre, ihre Archive zu öffnen und forderte im Gegenzug die armenische Regierung zur gleichen Maßnahme auf. Letztere lehnt die Öffnung ihrer Archive und eine unabhängige Recherche der Ereignisse von 1915 jedoch stets kategorisch ab und pocht stattdessen auf eine internationale Anerkennung des vermeintlichen „Völkermordes“ durch Regierungen bzw. Parlamente, was im Prinzip nichts anderes als eine rechtlich absolut unangemessene Vorverurteilung der Türkei darstellt!

3) Wieso erwähnen Sie nicht ein einziges Mal den Begriff „Asala“? Sie wissen doch mindestens genauso gut wie ich, dass die Asala eine armenische Terrorgruppierung war, diezwischen 1975-1990 gezielte Anschläge auf türkische Botschafter und Diplomaten verübte mit dem Ziel, den vermeintlichen „Genozid“ an den Armeniern im Osmanischen Reich ins internationale Rampenlicht zu rücken. Aus der heutigen Perspektive heraus kann man zweifellos sagen, dass dieses Ziel erreicht wurde. Aktuell wird die zweite Stufe dieses Plans umgesetzt, nämlich die Anerkennung des vermeintlichen Genozids in der Weltöffentlichkeit. Die dritte Stufe wird demnach die Forderung nach riesigen Summen von Entschädigungsgeldern sein, im Anschluss daran wird möglicherweise auch der Anspruch auf ehemals von Armeniern bewohnte Gebiete im Osten der Türkei folgen.

4) Wenn Sie sich anmaßen, sich permanent zu einem solch heiklen Thema zu äußern und sich via Medien „groß aufzuspielen“, gehe ich auch davon aus, dass Sie sich umfangreich über den von Ihnen kommentierten Sachverhalt informiert haben. Dann jedoch bleibt mir allerdings nichts Anderes übrig als davon auszugehen, dass Sie bewusst an dieser Hetzkampagne gegen die Türkei teilnehmen! Anders kann ich mir die Tatsache nicht erklären, dass Sie zahlreiche historische Fakten weglassen/vertuschen und sich stattdessen völlig einseitig zu diesem Thema äußern:

– Bis zum 19. Jahrhundert lebte die armenische Bevölkerung friedlich mit dem muslimischen Großteil zusammen, die Armenier genossen umfangreiche Minderheitenrechte und Privilegien, beispielsweise waren sie vom Wehrdienst sowie teilweise von der Steuerpflicht befreit. Auch ihre Religion durften sie völlig frei ausüben, stellten zahlreiche Minister, Abgeordnete, Bürokraten, Rektoren etc. . Sie waren insgesamt gebildeter und wohlhabender als die muslimische Bevölkerung. Da sie stets gute Beziehungen zum osmanischen Staat unterhielten, wurden die Armenier sogar als „millet-i sadika“ (treues Volk) bezeichnet und somit ausdrücklich für ihre positive Haltung gelobt.

– Nach dem Sieg im russisch-türkischen Krieg 1828/29 gelang es den Russen, ihr Einflussgebiet auf das heutige, türkisch-armenisch-iranische Grenzgebiet auszuweiten und somit unmittelbar in die Angelegenheiten des armenischen Volkes einzugreifen. Hintergrund war dabei das Ziel, das zu dieser Zeit schwächelnde Osmanische Reich durch Unterstützung, Bewaffnung und Aufhetzung der armenischen Minderheit weiter gezielt zu destabilisieren und somit den eigenen Machtbereich gegenüber den Westmächten England und Frankreich auf die „warmen Meere“ auszudehnen.

– Ab diesem Zeitpunkt folgte bis zum Jahre 1922 eine beispiellose Aneinanderreihung bewaffneter armenischer Aufstände, beispielsweise 1890 in Erzurum, 1892/93 in Kayseri-Yozgat-Corum, 1894 in Sason , 1896 in Van etc. . Aus offiziellen Dokumenten des türkischen Staatsarchivs geht eindeutig hervor, dass bei weiteren Aufständen zwischen 1906-1922 exakt 517.955 Türken getötet und mindestens genauso viele vermisst wurden(möglicherweise ein Grund für die Weigerung der armenischen Regierung, eine Historikerkommision zu bilden, die sich durch sämtliche Staatsarchive arbeitet?).

– Die Deportationen der Armenier erfolgten zu einem Zeitpunkt, an dem sich das Osmanische Reich im Krieg gegen England, Frankreich sowie Russland befand und an insgesamt 9 (!) Fronten kämpfte. Dabei wurden nicht willkürlich Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sondern lediglich Armenier aus Gebieten nahe dieser Fronten in andere Gebiete deportiert, da sie die Kriegsgegner des Osmanischen Reiches vor Ort unterstützen, insbesondere durch bewaffnete Freicorps.

Die Tatsache, dass zahlreiche Armenier während dieser Deportationen starben, ist unumstritten und wird auch von der türkischen Seite nicht angezweifelt. Allerdings bemühte sich der Staat ausdrücklich für eine sichere Deportation sowie um die Versorgung und anschließende Unterkunft dieser Menschen. All dies sind keine bloßen, leeren Behauptungen, um von einer vermeintlichen Schuld abzulenken, sondern durch offizielle staatliche Dokumente belegt, welche dieser E-Mail im Anhang in Form einer Powerpoint-Präsentation beigefügt werden. Von einer gezielten-systematischen, ethnischen Säuberung kann also keinesfalls die Rede sein! Vielmehr sind die -in einer Phase von Krieg und Aufständen innerhalb eines Landes weit verbreiteteten- Seuchen, Krankheiten sowie schweren Bedingungen (man berücksichtige an dieser Stelle den Tod von zehntausenden erfrorenen türkischen Soldaten in der Schlacht von Sarikamis 1914 gegen die Russen)ebenfalls als Todesursachen auszumachen wie zweifellos einige, nationalistisch motivierte Angriffe der türkischen Zivilbevölkerung, die jedoch NICHT vom Staat ausgingen!

Möglicherweise werden Sie den von mir aufgeführten Punkten entgegnen, dass sie zu stark „türkisch“ gefärbt und somit nicht objektiv sind, sondern lediglich meine subjektive Sicht der Dinge widerspiegeln. Das Gleiche, Herr Özdemir, werfe ich Ihnen allerdings ebenfalls vor: Dass Sie die historischen Ereignisse völlig einseitig und falsch wiedergeben! Sie werden mir denke ich – dabei berufe ich mich auf Ihren gesunden Menschenverstand – sicherlich zustimmen wenn ich behaupte, dass die einzige Möglichkeit für die lückenlose und eindeutige Aufklärung der Ereignisse von 1915 die Bildung einer unabhängigen Historikerkommission und die Öffnung sämtlicher, insbesondere auch der armenischen Archive ist! Andernfalls werden beide Seiten nach wie vor ihre eigene Sicht der Dinge verteidigen und zu keinem befriedigenden Ergebnis gelangen. Bis dahin sollten sich geistige Oberhäupter, Politiker wie Sie oder Medien nicht anmaßen, ein historisches Urteil über ein stolzes Volk (dem Sie übrigens auch angehören, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen!)zu fällen und sie von vornherein als „Schlächter“ abzustempeln, das die armenische Bevölkerung systematisch ausrotten wollte. Sollte diese Historikerkommission gegründet werden und zu dem Ergebnis gelangen, dass die  Ereignisse von 1915 tatsächlich als „Völkermord“ zu bezeichnen sind, wird dies sowohl die türkische Regierung als auch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung akzeptieren und sich dementsprechend entschuldigen, davon können Sie ausgehen. Jedoch sind sämtliche Bestrebungen, den Ruf des türkischen Volkes von vornherein zu verunglimpfen, meiner Ansicht nach als populistisch und bösartig zu bewerten!

Schließlich will ich an dieser Stelle nochmals unterstreichen, dass mich Ihre einseitige und verantwortungslose Darstellung der Ereignisse und insbesondere Ihr unglaublich intensives Engagement gegen das „Land Ihrer Vorfahren“ (auch wenn Sie selbst keinerlei Bezug mehr zur Türkei haben) schockiert, enttäuscht und auch ein Stück weit traurig macht. Sie sind meiner Meinung nach ein Musterbeispiel für vollständige Assimilation und völlig fehlgeschlagene Integration, Herr Özdemir. Schämen Sie sich nicht für Ihre türkische Herkunft, stehen Sie zu ihr!

Deniz Sengül


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