Pfefferspray – Prof. Dr. Jan G. Hengstler

Bild1.) Wie würden Sie das Pfefferspray definieren? Wer erfand die Waffe, und
warum bzw. wie entwickelte diese sich zur einer Waffe für Polizeieinsätze?
Pfefferspray ist ein Reizspray, das ursprünglich zur Tierabwehr entwickelt
wurde. Der Wirkstoff ist ein Extrakt aus Chilifrüchten, auch „Oleoresin
Capsicum“ genannt.  Oleoresin Capsicum ist ein Gemisch aus Phenolen, von
denen Capsaicin (trans-8-methyl-N-vanillyl-6-nonenamide) und
Dihydrocapsaicin am stärksten wirksam sind. Die Polizei in Deutschland setzt
das Reizspray seit 2000 ein. Es kann über bis zu etwa sieben Metern
versprüht werden.

2.) Welche gesundheitlichen Schäden kann Pfefferspray bei Menschen
verursachen?
Capsaicin reizt sensorische Nerven. Hierdurch kommt es zu Entzündungen von
Haut und Augen mit vorübergehender Erblindung. Hinzu kommen
unkontrollierbare Hustenanfälle, Atemnot und Krämpfe im Oberkörper.
Kritischer als diese meist nach einer Stunde abklingenden Symptome sind die
selteneren Komplikationen. Das Einatmen von Pfefferspray kann zur
sogenannten akuten Hypertension führen, einer Blutdruckkrise, welche mit
erhöhtem Risiko für  Herzinfarkt und Schlaganfall einhergeht. Kritisch ist
Pfefferspray außerdem für Asthmatiker, da es einen Anfall auslösen kann.
Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray sind belegt.

[Mögliche zusätzliche Frage]: Ist Pfefferspray dadurch harmloser, dass es
aus Pflanzen gewonnen wird?
Auf keinen Fall. Die gefährlichsten Gifte, die wir kennen, kommen aus
Pflanzen. Hinzu kommt, dass es sich bei dem „Oleoresin Capsicum“ Extrakt um
eine Substanzmischung handelt, die in Bezug auf gesundheitliche Gefahren
schwieriger zu bewerten ist, als eine reine Substanz. In toxikologischen
Studien mit Chiliextrakten wurden Hinweise auf erbgutschädigende und
krebserzeugende Wirkungen gefunden. Hingegen zeigten Studien mit
aufgereinigtem Capsaicin nur sehr schwache Effekte. Das lässt die
Möglichkeit offen, dass Verunreinigungen im „Oleoresin Capsicum“ kritisch
sein könnten. Insgesamt lässt die toxikologische Bewertung des Pfeffersprays
neben den oben erwähnten gut dokumentierten Gesundheitsschäden noch
kritische Fragen im Bereich möglicher krebserzeugender Wirkungen offen.
Konsequenterweise ist „Oleoresin Capsicum“ für den Einsatz am Menschen nicht
zugelassen.

3.) Auf welche Art und Weise können Menschen sich vor diesen
gesundheitlichen gefährlichen Auswirkungen des Pfeffersprays schützen?
Ein Schutz kann durch dichte Brillen und Atemschutzmasken erreicht werden.
Kontaktlinsen sollten herausgenommen werden. Ist es zu einer Augenreizung
gekommen, sollten die Augen mit kaltem Wasser gespült werden. Falls die
Schmerzen nach etwa einer Stunde nicht deutlich nachlassen, sollte ein Arzt
wegen des Risikos einer Hornhautschädigung aufgesucht werden.

4.) Ist Ihrer Ansicht nach Pfefferspray eine chemische Waffe? [Anm.:
vielleicht besser fragen (?): Gilt Pfefferspray als chemische Waffe?]
Das Genfer Protokoll verbietet den Einsatz in Kriegen. Im Inneren ist die
Verwendung von Pfefferspray durch die Polizei gestattet. Erfolgt der Einsatz
von Pfefferspray gegen Menschen nicht durch die Polizei, gilt dies als
gefährliche Körperverletzung und ist strafbar.

5.) Die Polizei in der Türkei rührt Pfefferspray in eine Art flüssiges
Wasser und setzt es so gegen die Demonstranten in der Türkei ein. Gibt es
einen Unterschied, wenn Pfefferspray/ Tränengas mit Wasser vermischt wird?
Ist dies erlaubt?
Sollte dies zutreffen, halte ich es für kritisch. Durch die Verbindung des
hohen Wasserdrucks mit der entzündlichen Wirkung des Capsaicins im
Pfefferspray steigt das Risiko dauerhafter Hornhautverletzungen, wenn
Demonstranten den Wasserstrahl ins Gesicht bekommen.

6.) Bei Einsätzen mit Pfefferspray sind in der Türkei Herzinfarkte verstärkt
aufgetreten und diese haben tödlich geendet. Wie beurteilen Sie diese
Situation?
Der Zusammenhang zwischen dem Einatmen von Pfefferspray, Blutdruckkrisen und
dem erhöhten Risiko von Herzinfarkten ist in der Fachliteratur beschrieben.
Nur ein sehr kleiner Prozentsatz der gegenüber Pfefferspray exponierten
Menschen wird tatsächlich schwere gesundheitliche Schäden wie einen
Herzinfarkt erleiden. Doch wenn Pfefferspray in großem Umfang ausgebracht
und von vielen Menschen eingeatmet wird, steigt damit auch dieses Risiko.

7.) Es kursieren Gerüchte in der Türkei, dass die Polizei “Agent Orange”
einsetzt. Im damaligen Vietnamkrieg hatten die Vereinigten Staates „Agent
Orange“ eingesetzt? Was ist „Agent Orange“? Welche Auswirkungen/ Gefährdung
hat dies auf die Gesundheit des Menschen?
„Agent Orange“ wurde von den USA im Vietnamkrieg zur Entlaubung von Wäldern
eingesetzt; nicht zu verwechseln mit „Agent Blue“, mit dem die Reisernte
vernichtet wurde. „Agent Orange“ enthielt Dioxine als Verunreinigung. Diese
Dioxine haben zu schweren Fehlbildungen bei Kindern,  Krebs und weiteren
Erkrankungen geführt. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes war mindestens eine
Million Vietnamesen von gesundheitlichen Spätfolgen von Agent Orange
betroffen. Ich habe Gerüchte über einen vermuteten Einsatz von “Agent
Orange” in der Türkei im Internet gelesen, verfüge aber über keine sicheren
Informationen. Mir scheinen diese Gerüchte eher unplausibel. Aus Sicht der
Polizei kann der Einsatz von Pfefferspray oder CS-Gas zweckmäßig scheinen,
um Demonstrationen zu verhindern; der Einsatz von  „Agent Orange“ eignet
sich hier sicher nicht. Denn die Entlaubung von Wäldern macht ja nur im
Partisanenkrieg Sinn.

8.) In Bezug auf Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten – wo ist da
die Grenze, die einzuhalten wäre?
Mit dieser Frage verlassen wir das Gebiet, zu dem ich als Arzt und
Toxikologe Stellung nehmen kann. Als Bürger würde ich mir eine Polizei
wünschen, welche Reizsprays nur dann einsetzt, wenn unmittelbar die Gefahr
körperlicher Gewalt droht. Bei einer friedlichen Demonstration als auch bei
der Besetzung eines Platzes sehe ich diese Notwendigkeit nicht. Hier wären
andere Maßnahmen wichtiger.

Welche?
Ein intensiver Dialog; und falls dadurch keine Einigung erzielt werden kann
eine Volksabstimmung zur strittigen Frage – so wie das zum Beispiel in der
Schweiz erfolgreich gelebt wird.

9.) Die Türkei hat in den vergangenen 12 Jahren 628 Tonnen Pfefferspray
verbraucht, Wie ist der Gebrauch von Pfefferspray in Deutschland? Zudem
möchte ich gerne folgendes ergänzen: in der Türkei wird in nahezu jeder
Situation sofort Pfefferspray eingesetzt. Wie ist Ihre Stellungnahme dazu?
Das sind unglaublich hohe Zahlen. Sofern nicht das Risiko von
Körperverletzung oder Notwehr gegeben ist, halte ich den Einsatz wegen der
gesundheitlichen Risiken für unverantwortlich. Leider wird Pfefferspray auch
in Deutschland eingesetzt. Zahlen sind schwer zu bekommen, denn in
Deutschland unterliegt der polizeiliche Einsatz von Pfefferspray keiner
Dokumentationspflicht. Wo immer Reizstoffe gegen friedliche Demonstranten
eingesetzt werden, ist das ein Armutszeugnis der Politik.

Prof. Dr. Jan G. Hengstler
Leibniz Research Centre for Working Environment and Human Factors


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Kommentare

Eine Antwort zu „Pfefferspray – Prof. Dr. Jan G. Hengstler“

  1. Avatar von Isa
    Isa

    Man kann hier: : anhand der Grafik sehr deutlich sehen das Pfefferspray um ein vielfaches „schärfer“ ist als der normale Chili der ja ohnehin schon sehr schmerzhaft brennt!